10 Gründe, ein Gewaltschutzkonzept mit den Mitarbeitenden zu beginnen
Inspiriert durch eine Frage, die ich häufig gestellt bekomme („Wie sollen wir eigentlich mit der Umsetzung eines Gewaltschutzkonzept anfangen?“) und meine übliche Antwort („Mit den Mitarbeitenden!“) war ich für diesen Monat inspiriert, mich diesem Thema einmal ausführlicher zu widmen und 10 Gründe zu nennen, warum ein Gewaltschutzkonzept mit den Mitarbeitenden in die Praxis umgesetzt werden sollte.
1. Mitarbeitende sind die Schlüsselakteur*innen im Gewaltschutz, da sie das Konzept tagtäglich umsetzen und es zu einer gelebten Praxis machen.
Mitarbeitende sind diejenigen, die im direkten Kontakt mit den Klient:innen stehen und die Möglichkeit haben, Anzeichen frühzeitig Gewalt zu erkennen. Ihre Rolle ist entscheidend, da sie die Schnittstelle zwischen den theoretischen Grundlagen des Schutzkonzeptes und der praktischen Umsetzung in der täglichen Arbeit bilden. Nicht nur das Erkennen von Gewalt, sondern auch ihre alltäglichen Interaktionen mit Klient*innen prägen die Kultur der Einrichtung: gewaltfreie Kommunikation, Selbstreflexion, Fehlerfreundlichkeit und der aktive Abbau von Diskriminierung können gezielt gefördert werden. Dies geht weit über schriftliche Dokumentationen hinaus – es bedeutet, dass der Geist des Schutzkonzepts in allen Handlungen der Mitarbeitenden mitschwingt. Ein erfolgreiches Konzept ist also kein abstraktes Konstrukt, sondern wird von denjenigen getragen, die es im Alltag leben.
2. Mitarbeitende bringen praktisches Wissen und jahrelange Erfahrung mit, was für die Entwicklung realisierbarer Schutzkonzepte unverzichtbar ist.
Die Entwicklung und Implementierung eines Gewaltschutzkonzepts darf nicht losgelöst von der Praxis der Einrichtung geschehen. Mitarbeitende sind die Expert*innen für den Alltag in ihrer Einrichtung, und dieses Wissen ist unersetzlich, wenn es darum geht, praktikable und umsetzbare Schutzmaßnahmen zu entwickeln. Bei einer Ressourcenanalyse wird häufig das Augenmerk auf finanzielle oder materielle Ressourcen gelegt. Dabei wird jedoch oft übersehen, dass die größte Ressource einer Einrichtung ihre Mitarbeitenden sind: Ihre Erfahrungen, die sie über Jahre hinweg gesammelt haben, ihr Wissen um die Bedürfnisse der Klient*innen und die besonderen Herausforderungen des Arbeitsalltags. Dies gilt besonders für Mitarbeitende, die Erfahrungen aus anderen Branchen oder Arbeitsfeldern mitbringen. Ihre Perspektiven können frischen Wind in den Schutzkonzept-Prozess bringen und auf innovative Ansätze hinweisen, die innerhalb der eigenen Strukturen vielleicht noch nicht bedacht wurden.
3. Schulungen sensibilisieren die Mitarbeitenden für verschiedene Formen von Gewalt und machen sie zu kompetenten Ansprechpartner*innen für Gewaltschutz.
Schulungen sind ein integraler Bestandteil jeder Schutzkonzeptentwicklung. Sie schaffen nicht nur das nötige Fachwissen, sondern bieten den Raum, um sich mit dem Thema Gewalt in einem geschützten Rahmen auseinanderzusetzen. Gewalt zeigt sich in vielen Formen. Physische, psychische und strukturelle Gewalt erfordern jeweils unterschiedliche Herangehensweisen. Schulungen bieten den Mitarbeitenden das Rüstzeug, um diese komplexen Formen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Gleichzeitig wird der Austausch unter Kolleg*innen gefördert, was Unsicherheiten abbauen und den Zusammenhalt im Team stärken kann. Schulungen sind damit ein Katalysator für eine gemeinsame Gewaltschutzkultur, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch das Selbstvertrauen stärkt, in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben.
4. Durch aktive Einbindung der Mitarbeitenden in die Entwicklung des Konzepts stärken sie ihre Eigenverantwortung und Identifikation mit dem Schutzkonzept.
Ein Schutzkonzept, das die Perspektiven der Mitarbeitenden nicht integriert, bleibt oft ein Papiertiger – schön formuliert, aber in der Praxis wenig wirksam. Wenn Mitarbeitende aktiv in den Entwicklungsprozess einbezogen werden, übernehmen sie Verantwortung für das Konzept und identifizieren sich viel stärker mit den Inhalten. Das Prinzip der Partizipation, das für Klient:innen oft als zentraler Bestandteil in Schutzkonzepten beschrieben wird, gilt genauso für die Mitarbeitenden. Sie müssen die Möglichkeit haben, eigene Ideen einzubringen und das Konzept mitzugestalten. Nur so entsteht eine nachhaltige Bindung an das Konzept, und es wird von den Mitarbeitenden nicht als lästige Pflicht, sondern als persönliches Anliegen wahrgenommen. Ihre Mitwirkung stärkt den gemeinschaftlichen Charakter und fördert die Bereitschaft, das Konzept im Alltag umzusetzen.
5. Regelmäßige Reflexion und Feedback der Mitarbeitenden halten das Schutzkonzept dynamisch und anpassungsfähig.
Ein Schutzkonzept ist kein starres Konstrukt. Es muss sich kontinuierlich weiterentwickeln, um den sich verändernden Bedürfnissen der Klient:innen und den Rahmenbedingungen der Einrichtung gerecht zu werden. Feedback und regelmäßige Reflexion sind entscheidend, um diese Dynamik zu gewährleisten. Mitarbeitende sind in der besten Position, um zu beurteilen, ob bestimmte Maßnahmen wirksam sind oder ob sie im Alltag an ihre Grenzen stoßen. Eine offene Feedbackkultur ermöglicht es, das Schutzkonzept flexibel anzupassen und weiterzuentwickeln. Fehlerfreundlichkeit sollte dabei ein Leitprinzip sein – es geht nicht darum, Perfektion zu erreichen, sondern stetig zu lernen und besser zu werden. Mitarbeitende, die regelmäßig die Möglichkeit haben, über ihre Erfahrungen zu sprechen und ihre Einschätzungen einzubringen, fühlen sich gehört und wertgeschätzt. Diese Prozesse tragen dazu bei, das Schutzkonzept lebendig zu halten und nicht nur als ein weiteres Papierdokument abzuheften.
6. Mitarbeitende brauchen Unterstützung in Form von Selbstschutz- und Selbstfürsorge-Maßnahmen, um mit belastenden Situationen umgehen zu können.
Gewaltschutz endet nicht bei den Klient*innen. Auch die Mitarbeitenden selbst sind oft einem erheblichen emotionalen Druck ausgesetzt, insbesondere wenn sie in einem Umfeld arbeiten, in dem Gewalt eine Rolle spielt. Sekundärtraumatisierung ist eine häufige Folge bei Menschen in helfenden Berufen. Mitarbeitende, die regelmäßig mit belastenden Erlebnissen konfrontiert werden, benötigen konkrete Selbstschutz- und Selbstfürsorge-Maßnahmen, um ihre eigene psychische Gesundheit zu bewahren. Diese Maßnahmen können von regelmäßigen Supervisionen bis hin zu spezifischen Stressbewältigungsstrategien reichen. Eine Einrichtung, die den Gewaltschutz ernst nimmt, sollte daher auch den Schutz der eigenen Mitarbeitenden nicht vernachlässigen. Ihre Gesundheit und Belastbarkeit sind entscheidend dafür, wie gut sie in der Lage sind, den Klient*innen zur Seite zu stehen.
7. Supervision oder kollegiale Beratung helfen den Mitarbeitenden, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und weiterhin handlungsfähig zu bleiben.
Supervision und kollegiale Beratung bieten den Raum, um über das zu sprechen, was im Arbeitsalltag oft untergeht: die emotionalen und psychischen Belastungen, die die Arbeit mit sich bringt. Diese Unterstützungsmöglichkeiten sind unverzichtbar, um langfristig handlungsfähig zu bleiben und nicht in ein Burnout zu rutschen. Regelmäßige Treffen mit externen Supervisor:innen oder im Rahmen kollegialer Beratung geben den Mitarbeitenden die Möglichkeit, ihre Erfahrungen zu reflektieren und neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Diese Unterstützung wirkt präventiv und sorgt dafür, dass Belastungen nicht chronisch werden. Zudem fördern solche Strukturen die Solidarität im Team, da Mitarbeitende lernen, sich gegenseitig zu unterstützen und voneinander zu lernen.
8. Unterschiedliche Berufsgruppen und kulturelle Hintergründe der Mitarbeitenden tragen dazu bei, vielfältige Perspektiven in das Schutzkonzept einzubringen.
In vielen Einrichtungen arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Berufsgruppen und mit verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammen. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung für das Schutzkonzept, denn sie bringt unterschiedliche Perspektiven und Ansätze ein. Gewalt und Schutz werden in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich verstanden und interpretiert. Diese Vielfalt kann genutzt werden, um ein Schutzkonzept zu entwickeln, das auf die speziellen Bedürfnisse und Herausforderungen der jeweiligen Klient*innen eingeht. Es ist wichtig, diese Unterschiede nicht als Hürde zu betrachten, sondern als Chance, ein Schutzkonzept zu schaffen, das allen gerecht wird.
9. Mitarbeitende sind das Herzstück des Gewaltschutzes. Ihre aktive Teilnahme und Unterstützung sind entscheidend für den langfristigen Erfolg des Konzepts.
Ein Schutzkonzept kann nur so gut sein wie die Menschen, die es umsetzen. Mitarbeitende sind das Herzstück jeder Einrichtung und tragen das Schutzkonzept maßgeblich. Ihre aktive Teilnahme, ihr Engagement und ihre Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, sind der Schlüssel für den Erfolg des Konzepts. Langfristig kann nur ein Schutzkonzept funktionieren, das von allen getragen wird. Ohne die Mitarbeitenden bleibt das Konzept auf dem Papier. Ihre Motivation und ihr Verständnis für die Bedeutung des Schutzkonzepts sind der Grundstein für dessen nachhaltige Verankerung im Alltag der Einrichtung.
10. Mitarbeitende gestalten die Zukunft des Gewaltschutzes, indem sie kontinuierlich lernen und sich weiterentwickeln.
Ein oft übersehener Aspekt ist, dass Mitarbeitende nicht nur das aktuelle Schutzkonzept umsetzen, sondern auch die Zukunft des Gewaltschutzes in der Einrichtung prägen. Indem sie sich kontinuierlich weiterbilden, neue Perspektiven einbringen und offen für Veränderungen sind, tragen sie aktiv zur Weiterentwicklung des Konzepts bei. Diese Lernbereitschaft ist essenziell, um den Gewaltschutz an die sich wandelnden gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen anzupassen. Ein gutes Schutzkonzept ist niemals fertig – es ist ein lebendiger Prozess, der von der Weiterentwicklung der Mitarbeitenden abhängt.
Fazit
Ein Gewaltschutzkonzept, das von den Mitarbeitenden aktiv mitgestaltet wird, hat die besten Chancen, langfristig erfolgreich zu sein. Die Mitarbeitenden bringen nicht nur ihr praktisches Wissen und ihre Erfahrungen ein, sondern sind auch diejenigen, die das Konzept tagtäglich leben und umsetzen. Ihre Partizipation fördert die Identifikation mit dem Konzept und schafft eine Grundlage für eine gemeinsame Schutzkultur in der Einrichtung. Gleichzeitig dürfen ihre eigenen Bedürfnisse nach Unterstützung, Reflexion und Selbstfürsorge nicht vernachlässigt werden. Nur wenn die Mitarbeitenden selbst gestärkt und gut vorbereitet sind, können sie den Gewaltschutz für die Klient:innen wirksam umsetzen. Das Herzstück eines jeden Schutzkonzepts sind die Menschen, die es tragen – und genau deshalb sollte der Entwicklungsprozess bei den Mitarbeitenden beginnen.